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Verbraucherforschung statt Verbraucherschutz - Kommentar zum Netzwerk Verbraucherforschung

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz (u.a.) animiert zusammen mit einigen universitären Marketingexperten ein Netzwerk für Verbraucherforschung – wohlgemerkt nicht für Verbraucherschutzforschung. Darin wird die Beobachtung des Verbraucherverhaltens gefordert und gefördert. Solche Forschung wurde früher, als der Verbraucher noch Kunde hieß,  in die betriebswirtschaftliche Absatzforschung der Unternehmen integriert. (Raffée, Silberer, Meffert, Steffenhagen u.a.) Deren Ziel war und ist es, die Verbraucher so anzusprechen, dass sie gerade das Produkt dieses Anbieters kaufen und zwar gleichgültig ob es für sie gut oder schlecht ist. Diese Entwicklung geht parallel zur Ersetzung der juristischen Disziplin des Verbraucherschutzes durch das Verbraucherrecht, das nun das gesamte Vertragsrecht des B2C umfasst, gleichgültig wem es nützt.

Verbraucherschutz wurde in der Wuppertaler Schule der 1970ziger Jahre als Antwort auf Marketing gesehen. Es sollte ein staatlich gefördertes und mit Rechtsmacht versehenes Gegengewicht hierzu entwickeln. Manipulation der Verbraucher gleichgültig ob für gute oder schlechte Zwecke sollte erschwert und mit Verbandsklageverfahren verboten werden, bestimmte Praktiken und Produkte sollten gar nicht erst die Chance erhalten, auf dem Markt Schaden anzurichten. So sollten gesetzliche Mindeststandards gelten. Verbraucherschutz war damit neben Verbraucherinformation und Verbrauchererziehung der dritte rechtliche Eckpfeiler der Verbraucherpolitik. Ist das überflüssig geworden? Hat der Markt jetzt alles gerichtet?

Verbraucherschutz

Dann können wir in der Tat jetzt zusammen mit den Marketingexperten eine „Verbraucherforschung“ machen, die den Verbraucher dahin bringt, sich das Beste aus dem System herauszuholen. Das iff wäre überflüssig und das Finanzierungsproblem gemeinnütziger Forschung gelöst. Doch Abgasskandale, Finanzkrisen, Datenmanipulation haben aufschimmern lassen, dass das marktwirtschaftliche Wettbewerbsmodell eine staatliche Steuerung zugunsten einer nachhaltigen Bedürfnisbefriedigung nicht überflüssig gemacht hat. „Könnte der Markt alles“ bräuchte man nicht das geltende Recht. Vor Gericht haben überflüssige Gebühren, getäuschte Anleger und bewucherte Kontoinhaber das Vertrauen geschmälert. Der Markt wird vom Dogma zum Instrument, das seine Überlegenheit gegenüber der Regulierung beweisen muss. Die Verbraucherforschung der Wirtschaft wehrt sich mit neuen Forschungen, die beweisen sollen, dass Markt und Angebot richtig und die Probleme nur bestehen, weil die Verbraucher sich falsch verhalten. Sie propagieren eine gemeinnützige Marketingforschung, die die Verbraucher zu ihrem eigenen Glück bekehren wollen und damit zugleich das Marktdogma vor denjenigen Juristen rettet, die Gerechtigkeit auch dann noch als Aufgabe des Rechts ansehen, wenn Verbraucher scheinbar wie die Lemminge auf sie verzichtet zu haben scheinen.

Der dumme Verbraucher

Die Strategie der 1950ziger Jahre, den Verbraucher dem Markt zu überlassen, führte zur Einsicht, dass er nicht „richtig“ auswählte und damit die Schlechten belohnte. („markets of lemons“) Man klärte daher auf und kontrollierte die Werbung, der man Manipulation unterstellte. Als das nichts nützte, wurde ab 1963 das Informationsmodell der Kennedy-Erklärung zum Eckpfeiler. Der Verbraucher sei nicht dumm aber uninformiert weil faul. Er suche sich nicht die wichtigen Informationen heraus. Man müsse ihm helfen. Mit Tonnen von beliebig relevantem Text müssen seitdem Anbieter die Produktinformation sowie Preise und Wirkungen mundgerecht aufbereiten. Die Verbraucher stören sich daran nicht. Sie bleiben faul und ungebildet und kauften Schrottimmobilien, Wucherkredite und Kapitallebensversicherungen. Daher sollte finanzielle Bildung helfen. Doch wer etwas über die Gefahren einer Kreditkarte gelernt hatte verliert auch noch die Scheu vor gefährlichen Produkten. Verbraucherbildung ist nur wirksam, wo sie vor allem rechtliche Verbrauchermacht mobilisieren kann. Information und Bildung haben den Hautgout der Einsetzung einer Untersuchungskommission, wenn Handeln erforderlich wäre.

Marketing für das Gute

Ein neues Paradigma musste her – die Verhaltensökonomie (behvioral finance). Der Verbraucher sei irrational. Er müsse aber um des Gemeinwohl willens das Richtige tun. Ginge es nicht rational müsse man ihn irrational hierzu bringen. Farbwahl, Schriftart, Bilder, aufgedruckte Ansprachen – was früher als Manipulation galt wurde zum Verbraucherschutz gegen sich selbst. Beispiele waren leicht bekleidete Dame auf einer Kreditwerbung, mit der man 0,3% höhere Zinsen absetzen konnte. Das ließ sich logisch umkehren. Gute Angebote sollten jetzt leicht bekleidet daher kommen.

Das klingt nach altem Marketing für neue Firmen und hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun. Man sieht dann auch im ethischen Investment, dass „gute“ Banken sich erst durchsetzen, wenn sie nicht die Grenzen der Ethik im Geldgeschäft erläutern sondern sich diesem „guten“ Zweck ähnlich manipulativ unterstellen wie andere dem Wohlergehen des Kreditnehmers in der Werbung. Doch erstaunlicherweise funktioniert der Markt. Das Marketing des Guten gewinnt kaum an Boden. Die Manipulationen der schlechten Anbieter sind besser, weil sie eben doch näher an der Wahrheit sind.

BMJ“V“

Nun hat das BMJV nicht nur den Verbraucher sondern ganz speziell den Verbraucherschutz im Namen, was übrigens schon Renate Künast ab 2001 im BMVEL einführte. Außerdem ist der früher als oberster Verbraucherschützer betitelte Chef des vzbv nun Staatssekretär. Warum wird diese Art des Marketing in Form der Verbraucherforschung dort gefördert? Natürlich betrifft dies nicht jedes Marketing. Gefördert werden Absatzbemühungen derjenigen, die in den Nischen anbieten, wo man sich Moral und Nachhaltigkeit finanziell leisten kann. Das führt auf gerader Linie zum Anlegerpublikum. Weil der Investor als Anleger zum Verbraucher wird, ersetzt der Anlegerschutz als reiner Marktschutz den Verbraucherschutz. Dann fällt es auch nicht mehr auf, dass die Verbraucherforschung mit Verbraucherschutz nichts mehr zu tun hat. Angesichts der Deregulierungswelle vor der Krise liegt der Verdacht nahe, dass die Untätigkeit bei der Produktkontrolle wie etwa bei Vorfälligkeitsentschädigung, Wucherkrediten, Riester-Renten-Betrug, Kapitallebensversicherungskündigungen etc. jetzt damit gerechtfertigt wird, dass man erst versuchen wolle, die Verbraucher so zu manipulieren, dass sie mit diesem Spuk über den Markt selber fertig werden.

Verbraucherforschung und Verbraucherrecht

Damit es nicht allzu deutlich wird, hat man die Manipulationsidee der Werbung für die Verbraucherschützer ins Englische übersetzt. Es heißt jetzt nudging.  Verbraucher sollen angeschubst werden. Tatsächlich ist dies rechtlich schlimmer als die Täuschung. Juristen kennen den Unterschied in der Entscheidungsbeeinflussung durch Hervorrufen eines Irrtums in §123 BGB. Täuschung wird nur bei Arglist sanktioniert, die Ausschaltung des Willens (vis compulsiva) immer. Rechnet man das Anschubsen jetzt zum Verbraucherschutz, dann sollte man mit den Marketing – Experten die Verbraucherverbände besetzen. Dann passiert dasselbe was man im Recht mit der Ersetzung des Begriffes Verbraucherschutzes (= Inbegriff der rechtlichen Regeln, die den Verbraucher vor dem Anbieter schützen) durch den Begriff Verbraucherrecht (= Inbegriff der Regeln, in denen der Verbraucher vorkommt) geschehen ist. Dann kann man auch schon mal in einer Verbraucherschutzrichtlinie den Anbieter vor dem Verbraucher schützen (Offenlegungspflichten im Kredit) genauso wie man mit dem behavioural finance auch gerne für Anbieter tätig werden darf, die mit der Behauptung, alles sei gut, was gerade sie verkaufen, eine autoritäre Moral vertreten, wie sie der „libertäre Paternalismus“ der Nudging Experten für gerechtfertigt hält.

Wenn die Ökonomen das Ideal der freien Entscheidung der Verbraucher durch die Diktatur der Besserwisser ersetzen, die vom demokratischen Legitimationszwang befreit sind, und dies auch noch im Namen des Verbraucherschutzes propagiert wird, dann sollten wir darüber nachdenken, ob wir den ohnehin inhaltsleeren Verbraucherbegriff (= Abnutzer) nicht den Verbraucherrechtlern und Verbraucherforschern ganz überlassen und uns stattdessen den schützenswerten diskriminierten Schuldnern, Kreditnehmern, Versicherten, Mietern, Arbeitnehmer etc. zuwenden. (Udo Reifner)

 


ID: 48988
Author(s): UR
Publication date: 28/04/16
   
 

Created: 28/04/16. Last changed: 28/04/16.
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