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Microlending - Missbrauch von Kleinkrediten für eine neo-liberale Armutsbekämpfungsideologie oder Hilfe für Arme? - Journalisten des saarländischen Rundfunks fragen zum ersten Mal nach.

Micro-Kredit in Europa - ein Geschäft von Regierungen, EU und Großbanken

Das iff gehörte seit Mitte der 1990ziger Jahre zu den Pionieren bei der Erforschung der Rolle des Microcredit in Europa. Umfangreiche Studien in den USA, in England und Polen zeichneten die Idee einer verantwortlichen Kreditvergabe nach, bei der produktive Kredite für Arme vergeben werden sollten.

Als das iff ein großes Forschungsprojekt über Microlending in Europa für die EU-Komission übernahm, kam es mit der Kommission, mit den Matadoren der Bewegung wie Maria Novak in Frankreich und Rosalynn Chapisaro in England sowie auch innerhalb des iff zum Bruch. Die These, die wir mit den Forscherfreunden in Amerikan wie Gregory Squires von der George Washington Universität teilen und die wir auf dem Internet dokumentierten (vgl. die Thesen zu Ideologie und Praxis des ML sowie weitere Dokumente), lautet: Microlending diente häufig mehr der Propaganda einer neo-liberalen Rettungsbewegung als den Menschen, die dort Kredit bekommen.

Produktive Kleinkredite sind kein ML

Das betrifft weder alle ML Projekte noch die meisten der Akteure. Mit Benoit Granger, dem wichtigsten Vertreter in Frankreich blieb die Freundschaft und die Kooperation im Rahmen des ECRC erhalten. In seinem Buch wurden die Bedenken gegen ML genutzt. Auf einigen der unzähligen offiziell EU-gesponsorten Microlending Kongresse (Berlin, Brüssel) konnte das iff seine kritischen Thesen auch weiterhin vertreten und der Propagandamaschinerie für das scheinbare kapitalistische Wundermittel ML entgegenhalten. Dabei ging es nie um die Frage, ob man Kleinkredite an Arme vergeben sollte. Kredite für Verbraucher wie für Selbständige sind Investitionen, der Kosten durchaus aus der Kapitalnutzung erwirtschaftet werden können.

Sie sind daher wichtig, wo es produktive Investmentmöglichkeiten für sie gibt. Sie müssen den bankmäßigen Standards sowohl technisch als auch im Verbraucherschutz entsprechen, und dürfen keine höheren Zinsen verlangen, als wie durch die Investition erwirtschaftet werden kann. Umgekehrt: sie sind schädlich, wo damit der Mangel an laufendem Einkommen bzw. die Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt behoben werden soll, die realwirtschaftliche Gründe hat. (mangelnde oder falsche Qualifikation, strukturschwaches Gebiet, veraltete Produktionsweise etc.) Nur dort, wo es rein finanzwirtschaftliche Gründe gibt, weil Banken keine Kredite vergeben, brauchen wir Alternativen – am besten allerdings einen Druck auf die Banken, ihre Diskriminierung einzustellen. Propagiert man Kredit von Alternativorganisationen, dann freuen sich alle: die Banken, weil sie aus der Schusslinie sind, die Armen, weil sie Subventionen vermuten dürfen, die Politik, weil sie scheinbar keine Subventionen geben muss und doch hohe Investitionszahlen vermeldet, die Alternativen, weil sie Jobs bekommen und die Ideologen, weil die Geldgesellschaft sich selber retten kann.

Doch allein in Frankreich kann man solche Microkredite finden, wo ein Microlender eine Ausfallquote von 60% verteidigte, weil Sozialhilfe als Alternative schließlich eine Quote von 100% hätte. Überall sonst und vor allem in England fanden wir wucherverdächtige Produkte, mit der mit viel öffentlichem Aufsehen der Beweis angetreten werden sollte, dass der Kapitalismus doch nicht diskriminiert. Die "Armen zahlen mehr" ist kein Problem der Kreditwirtschaft, wenn die Armen zeigen können, dass man ihnen nur Geld leihen muss, damit sie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen können.

Die Deutsche Bank schrieb in den USA einen ML Preis aus, widmete dem Konterfei von Mohammad Yunus zwei Seiten in ihrem Geschäftsbericht, war aber ehrlich zu schreiben, dass dieses ML ihr Zugang zu Märkten in Asien verschaffen soll. Statt ihr Kreditgeschäft der Diskriminierung von Armen über Scorewerte, Kreditgeschichte und Kreditform (Kontoüberschreitung, Kreditkarte und Payday Loans incl. Versicherungsprodukte) sozial zu korrigieren, spendeten sie Peanuts für ML und zeigten stolz auf die staatlich subventionierten Projekte als ob ihre Geschäftspolitik mit dem Scoring, risk based pricing und dem Credit Crunch für Arme nicht gerade in die entgegengesetze Richtung ging.

In den USA meldete die größte ML Organisation Working Capital Insolvenz an. Ihr Chef war so ehrlich zuzugeben, dass nicht ein einziger Arbeitsplatz geschaffen werden konnte. Die eigenen Recherchen bei Accion in New York zeigten, dass Wucherkredite mit vorsintflutlichen Methoden und verbraucherfeindlichen Beitreibungen profitabel gehalten wurden.

ML in der Dritten Welt?

Bis 2000 hatten wir im iff uns nur zur Unmöglichkeit "gut meinender" Microkredite durch Nicht-Fachleute in Europa und den USA geäußert und die wenigen Projekte, wo ML mit Banken und Staat wie in Frankreich kooperieren, herausgenommen. Im übrigen hatten wir uns von den englischen Kolleginnen und Kollegen als Extremisten beschimpfen lassen, die das Gut Gemeinte verteufeln. Das hat uns seit 2000 die Aufträge der DG Social Policy gekostet, die ganz auf ML zur Armutsbekämpfung im Finanzbereich setzte und damit die die soziale Verarmung durch Überschuldung im Main-Stream Banking verniedlichte. Allzu verlockend war ML für die Sonntagsreden ihrer Politiker, bei denen man Nobel-Preisträger, UN mit ihrem Jahr des Microlending und Bill Clinton mit seinem World Micro-Lending Summit ebenso wie alle Großbanken der Welt auf seiner Seite wusste. Die wenigen aufrechten Banker, die Ihre eigene Kompetenz statt die Wünsche ihrer Marketingspezialisten nutzten, und darauf hinwiesen, dass man mit Sandkastenspielen nicht Geldfluten und Geldebbe bewältigt, gaben uns hinter vorgehaltener Hand ihre Zustimmung. Die Spaltung der sozialen Bewegung gegenüber Banken im Finanzbereich war perfekt: hier die Gutmenschen, die real den Armen halfen, dort die Ideologen, die den Kapitalismus kritisieren.

Bzgl. der Dritten Welt hatten wir uns immer zurückgehalten. Zwar ärgerten uns die Filmchen aus Peru, wo eine arbeitslose ledige behinderte Mehrfachmutter zur Frisörunternehmerin mit Angestellten mutierte, die perfide Behauptung, in einem Land, in dem die Frauen im Islam nicht mal das Recht haben, in die Öffentlichkeit zu gehen, hätte man sie an allen vorbei zu erfolgreichen Unternehmerinnen mit 98% Rückzahlungsquote mutiert, und auch die Antwort auf meine Frage an Yunus 2000 in Paris, die mich den Podiumsplatz für die Abschlussdiskussion kostete, dass ML in Europa nicht funktioniere, weil unsere Armen zu verwöhnt und nicht arm genug seien. Zwar schreckten uns Meldungen über kriminelle Wuchermachenschaften von geförderten ML Unternehmen in Südamerika ab. Auch brachten unsere Gespräche bei einem Besuch in Indien zu Tage, dass man die dörflichen Selbstfinanzierungsmechanismen (Sheet Systems) statt so wie einst in Deutschland zu (Genossenschafts-)Banken oder kommunlaen Sparkassen zu entwickeln mit der Überschwemmung mit ausländischem ML-Kapital wohlmeinder Großbanken der alten Welt und der Weltbank ruinierte. Skeptisch hatte uns auch gemacht, dass die Produktivität der Granmeen Bank Kredite über Handy-Verleihstationen in den Dörfern durch ein entsprechend lukratives Abkommen mit der einem Multinationalen der Telekommunikation simuliert wurde, wobei man auch als Nicht-Experte den Eindruck haben könnte, dass bei obdachlosen Bauern ohne Gerät und Absatzchance das Handy vielleicht doch nicht das Wichtigste ist.

Auch zeigte sich, dass in Madagaskar die Ablösung der gescheiterten „Kuh-Finanzierung“ durch den „Kuh-Verleih“ als Microcredit einigen Tierärzten und abenteuerlustigen Europäern in ihren Jeeps sowie einigen ARD-Reportern einen interessanten Einblick verschaffte, nicht jedoch die örtliche Wirtschaft unterstützte, während die echten Erfolge in Mozambique darauf beruhten, dass sich kleinere Banken, um an den Subventionen der Propagandamaschinen in den reichen Staaten teilhaben zu können, kurzerhand zu ML erklärten. Doch wir hatten hier keine eigenen Informationen, keine Statistiken, keine Anschauung von Akten und wollten dem bewussten Evaluationsdefitizit von Weltbank und Großbanken nicht dieselbe Methode entgegenstellen.

Auch hörten wir davon, dass man uneinbringliche Kredite wie in der Subprimekrise allgemein aufgedeckt auch im ML einfach verlängerte bzw. wie schon früher in der Dritten Welt einfach umschuldete, weshalb sie plötzlich in den Bilanzen als einträglich auftauchten.

Die ersten Berichte über reales ML

Wir haben die bestenfalls blauäugigen Thesen der Weltbank zu ML in einer Stellungnahme kritisiert und versucht, bei einem Besuch in Washington auf Einladung einer anderen Abteilung der Weltbank darüber zu diskutieren, wurden jedoch nicht vorgelassen. Unser Projektbericht für die DG Social Policy zu ML in Europa und seinen tatsächlich funktionierenden Formen, wenn man einmal die ideologische Deutung weglässt und einfach von produktiven Kleinkrediten spricht, wurde versteckt und durch die Erfolgsmeldungen verdrängt.

Deshalb sind wir froh darüber, dass nach 15 Jahren pane et circences jetzt Journalisten hingehen und einmal nachschauen und dem Nobelkomitee wie einst nach der Preisverleihung für Merton, der mit seiner prämierten Geldtheorie und dem Nobelpreisruhm Milliarden Euro versenkte, die Realität der Preisträger nahebringt.

Man sollte sich die Sendung sorgfältig anhören und das Manuskript lesen. Das würde Millionen an Mitteln, die für Publicity ausgegeben werden, einem sinnvolleren Zweck in der Armutsbekämpfung zuführen.

Ein Märchen aus Bangladesch - Mikrokredite gegen Armut

DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 20.07.2010 Redaktion: Karin Beindorff 11.05 – 12.00 Uhr Von Gerhard Klas Co-Produktion Deutschlandfunk/Saarländischer Rundfunk/Südwestrundfunk DLF-Fassung.

"Gruppenbild mit Frauen, gekleidet in bunte Saris, glücklich lächelnd: Bilder solcher Selbsthilfegruppen von Kreditnehmerinnen schmücken die Werbeprospekte zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und Investmentfonds für die sogenannten Mikrokredite. 30 Millionen Kreditnehmerinnen gibt es allein in Bangladesch. Das ist ein Fünftel der Bevölkerung dieses von Armut, Analphabetentum und Naturkatastrophen geplagten Landes. Die Idee, Armen in der sogenannten Dritten Welt mit Kleinkrediten zu helfen, sich eine eigene Existenz aufzubauen, entstand in den 80er-Jahren. Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 2006, erhielten Muhammad Yunus aus Bangladesch und seine Grameen-Bank für Verdienste im Kampf gegen die Armut den Friedensnobelpreis. Unternehmensvorstände und Bankmanager applaudierten: Der Kapitalismus funktioniere also auch für die Ärmsten der Welt. Aber in Bangladesch selbst sind Mikrokredite sehr umstritten. Dort traf der Autor vor allem auf Frauen und Männer, für die die Mikrokredite zu einer schweren Bürde geworden sind."

Typisch für die Reaktionen dürfte OikoCredit sein, die dieser ersten konkreten eigenen Recherche mangelnde Ausgewogenheit und bei den Fakten lediglich die Meinungsbilder Dritter entgegenhalten. Auch OikoCredit verdient wie Yunus sein Geld mit einem Label: Ihr könnt gutes tun, ohne dass es Euch etwas kostet, das Geldsystem verändert werden muss und wobei wir auch noch verdienen können. ("Jesus lite")

Mehr Informationen zu Microlending auch in dem Buch Reifner, Die Geldgesellschaft, 2010 S. 64 f; 372, 422; Reifner (ed) Micro-Lending – A Case for Regulation in Europe, Social Finance vol.5, Nomos: Baden-Baden; ders.

Microlending in affluent societies: Truths and Misconceptions, in finance & bien commun/common good (Geneva) N° 20 Autumn 2004 pp 24-32; andererseits: Evers, J.: Microlending als Modell effizienter gewerblicher Kleinstkreditvergabe und seine Anwendung für Banken, in: Fischges, W. u.a. (Hg.): Banken der Zukunft – Zukunft der Banken. Wiesbaden 2001.

Auszüge aus der Sendung

Faktensprecherin
Muhammad Yunus ist Wirtschaftsprofessor, Sohn eines wohlhabenden Juweliers und Gründer der Grameen-Bank. Seit mehr als 30 Jahren vergibt seine Bank Kleinstkredite an die Armen in Bangladesch. Bei Entwicklungshilfeministerien und Nichtregierungsorganisationen im Westen stieß sein Projekt in den 90er Jahren auf positive Resonanz und leitete eine Trendwende in der Entwicklungspolitik ein. Die Weltbank unterstützt und fördert diesen Ansatz, der davon ausgeht, dass sich auch Entwicklungsprojekte wirtschaftlich selbst tragen sollen. Die Armen brauchen keine Zuschüsse, sondern Kredite, lautet die Maxime. Im Jahr 2006 erhielt Muhammad Yunus für sein Konzept den Friedensnobelpreis.

O-Ton Anu Muhammad
From our studies…situation deteriorated.
Sprecher 4
Unsere Studien und die anderer Wissenschaftler haben ergeben, dass etwa 5-10 Prozent der Kreditnehmer von den Mikrokrediten profitiert haben. Und das sind diejenigen, denen noch andere Einkommensquellen zur Verfügung stehen, also nicht die Ärmsten der Armen. Sie landen in der Schuldenfalle. Bei 45-50 Prozent der Schuldner ändert sich nichts an ihrer Situation, und die von weiteren 40 Prozent verschlechtert sich erheblich.

Maha Mirza, damals Studentin der Wirtschaftswissenschaften, absolvierte 2004 als begeisterte Yunus Anhängerin ein Praxissemester in der Grameen-Zentrale. Dort musste sie erfahren, dass bei der Grameen-Bank ein strenges Regiment herrscht. Ihre Feldarbeit hätte sie gerne im Tangail Distrikt gemacht, wo ihr Vater geboren ist.

Sprecherin "Sie bringen dich nur dorthin, wo sie viele Erfolgsgeschichten vorzuweisen haben und die Gesprächspartner sehr loyal zur Grameen Bank eingestellt sind. Du besuchst ein Haus nach dem anderen, arme Leute, denen es jetzt gut geht. Diese Leute können einen wirklich glauben machen, dass tatsächlich alles funktioniert. Aber wehe man sucht sich selbst eine Region aus, die man besuchen will. Zum Beispiel Tangail. Dort gibt es viele Leute, die alles verloren haben und total verschuldet sind. Das lehnt die Grameen Bank ab, dort bringen sie einen nicht hin."

Ihr Kollege Steffen Ulrich, Misereor-Fachreferent für Mikrofinanz, glaubt nicht an das von Muhammad Yunus postulierte „Grundrecht auf Kredit“.
O-Ton Steffen Ulrich: Wir brauchen das Menschenrecht auf Kredit nicht, [..] Aber das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Wasser, sind alles Bereiche, da muss sich nach wie vor leider Gottes die Entwicklungszusammenarbeit kümmern. Der Kredit, den wird es auch ohne Entwicklungszusammenarbeit immer geben und von daher kann es für mich auch kein Recht auf Kredit geben, das ist eine Pervertierung der Rechtsdiskussion.

"Mikrokredite haben zum Wirtschaftswachstum beigetragen und sie haben die Armen in den Markt integriert. Die Wirtschaft in Bangladesch ist stärker von den Gesetzen der Marktwirtschaft durchdrungen denn je. Aber das Wachstum stellt nicht sicher, dass sich auch die sozialen Verhältnisse verbessern. Vielmehr sind durch Mikrokredite individuelle Lösungsansätze von sozialen, gesellschaftlichen Problemen zur Norm geworden. [..] Geschwächt sind die kollektiven Ansätze, die zum Beispiel in der Bauernbewegung Bangladeschs so weit verbreitet waren. Den Ngos, Grameen, ASA und BRAC ist es erfolgreich gelungen, die Landbevölkerung zu spalten. Die Armen konkurrieren heute miteinander: Wer zieht mehr Mikrokredite an Land, wer zahlt am erfolgreichsten zurück, wer verliert. Es gibt kaum eine kollektive Antwort. Das ist eine politische und ideologische Krise."


ID: 45954
Author(s): UR
Publication date: 16/08/10
   
 

Created: 16/08/10. Last changed: 18/08/10.
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