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Hans Werner Sinn und die Juden - Überlegungen zur Rolle des Neo-Liberalismus in der aktuellen Kreditkrise

Hans Werner Sinn, der "meistzitierte Ökonom in Deutschland" (Süddeutsche Zeitung) hat im Tagesspiegel die Manager als Opfer den Juden in Deutschland gleichgestellt. Er hat sich in einem
offenen Brief bei der jüdischen Gemeinde entschuldigt. Es sei ihm "nur so herausgerutscht". Aber ist es damit getan, ist es nur ein Problem der jüdischen Gemeinde oder geht uns der Vergleich alle an?

Prof. Sinn ist der vielfach preisgekrönte Chef des ifo-Instituts in München, eines der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, die in Deutschland den Ton angeben, mit öffentlichen Mitteln gefördert und im Center for Economic Studies (CES) mit der Universität verbunden das weltweite Netzwerk neo-liberaler Ökonomie in Deutschland verkörpern. In der Vergangenheit wurde jede soziale Rücksichtnahme
("Ungerecht lebt es sich besser"), ob
Mindestlöhne,
Kündigungsschutz,
Umweltschutz oder Wucherverbot, als Sünde an der Wirtschaft bekämpft.


Hans Werner Sinn  rettete das ehemals sozialwissenchaftlich und empirisch ausgerichtete ifo-Institut dadurch, dass er ihm die staatlichen und privaten Subventionen derjenigen erschloss, die im Neo-Liberalismus ein Lebensziel sehen. Er stand dabei im Wettbewerb mit den Professoren Raffelhüschen, Straubhaar und Rürup, die Ähnliches nur erheblich differenzierter vertraten.


Der sinnlose Neo-Liberalismus


Ziel des Neo-Liberalisms ist es, dem Geld die letzten Zugangsschranken zur Lebenswelt der Menschen zu nehmen, was oft mit dem Zugang der Menschen zum Markt verwechselt wird. Alle Solidarsysteme müssen deshalb durch Kapitalstocksysteme ersetzt werden. Der Mensch sollte nicht mehr "jetzt für die Alten" sondern "im Alter für sich selber" sorgen. Weiter sollte die Beherrschung menschlicher Risiken aus dem gemeinschaftlichen Versicherungssystem auf das bezahlte individuelle Glückspiel der Derivate und Zertifikate verlagert werden, damit der Bereicherungsgedanke auch den Zusammenhalt der Generationen ersetzt.


Nicht Häuser bauen, seine Familie gründen und Kinder großziehen sondern reich an Geld sollten alle werden: Aus dem Sparer wurde der Anleger, aus dem Versicherten der Spekulant und aus dem Arbeiter der Investor. Nur so sollte Effizienz möglich sein.


Exzellenz war nur noch die höchste Effizienz, die sich in Geld messen lassen mußte.  Wer Geld hatte, den hatte Gott lieb. Deshalb half der Neo-Liberalismus den Hedgefonds und Finanzinvestoren nachhaltig aufgebautes Sach- und Arbeitskapital zu zerstören, indem man es in Geldeinheiten ausdrückte, in kleine Päckchen virtuell zerlegte, die Quartalsprofite errechnete und dann den "besten" Päckchen das Bleiberecht einräumte, auch wenn ihr Produkt eine überholte Schreibsoftware, ein benzinfressendes Monstrum oder ein sinnloser Spacepark war. Mit den Partnern dieser Ideologie vor allem in Brüssel verboten sie überall dort dem Staat weiter Verantwortung für unser Gemeinwohl zu übernehmen, wo er es nicht billig genug machte und nicht jedem Kapital von außerhalb den Weg ebnete.  In den Projektausschreibungen herrschte der Auswahlquotient "Klasse durch Kasse", womit man überall dort das second best bevorzugen konnte, wo es billiger war. Schrottimmobilien, Schrottarbeitsplätze, Schrottkredite - sie alle wurden goldglänzend in Wertpapiere eingewickelt, mit einer Währungszahl versehen und mit dem Versprechen, wer sie besitze würde reich, letztlich an die Endabnehmer Verbraucher, Staat und Arbeit abgesetzt.


Müllabfuhr, Krankenhäuser, Eisenbahnen, Banken wurden in die Privatnützigkeit überführt und mit den Segnungen des Marktes überhäuft, wobei der Müll Neapels und die englischen Eisenbahnen deshalb kein Problem wurden, weil niemand mehr prüfte, ob denn tatsächlich auch die Gemeinwohlfunktion oder nur die Toilettenanlagen ehemaliger Gemeinwohleinrichtungen privatisiert worden waren.


Die Gralshüter des neo-liberalen Glaubens propagierten Märkte auch dort, wo es um Güter ging, die wie Kinder, Ausbildung und Gesundheit ganzer Bevölkerungsgruppen unverkäuflich blieben. Während man Fußballspieler, Manager oder Krebsmittel zu gewinnträchtigen Objektiven versilberte, blieben die wirklichen Ressourcen einer Gesellschaft Ladenhüter. Der Geldbesitzer, Anleger, Investor und Spekulant ist der ideale Teilnehmer an einem durch pfiffige Auswahl und Information geregelten Markt. Das Heer der Arbeitenden, mittelständischen Unternehmen, Kreditnehmer, Familien und Kulturträgern sind darin Kostenfaktoren, die zudem noch Rendite, Zins und Gewinn der Anleger zu erwirtschaften haben.


An die Stelle sozialer Ökonomie oder der früheren Nationalökonomie setzten diese Hohen Priester des Neo-Liberalismus die mathematischen Formeln und logischen Ableitungen, bei der die Wirklichkeit in den Köpfen als Spiel konstruiert aber, wie die peinlich falschen Vorhersagen bewiesen, niemals abgebildet wurde. Die dabei erbaute virtuelle (Schein)Welt des Geldes hatte gegenüber allen Träumereien und religiösen Gespinsten der Vergangenheit einen gewaltigen Vorteil: wer in der virtuellen Welt die Oberhand behielt, erhielt reales Geld und reale Macht, mit der er oder sie in der wirklichen Welt reüssieren konnten.
 


Der Sinn der Lüge ist es, dass verantwortlich gelogen wird.


Nicht alles was der Neo-Liberalismus auf den Kopf stellt ist sinnlos. Menschen brauchen oft Lügen, um sich konkordant zu verhalten. Manche Systeme funktionieren nur, wenn alle an dieselben Lügen glauben. Juristen nennen das dann Rechtsfiktionen und davon gibt es viele. Die Menschen selber haben sich verändert und wollten belogen werden. Wollte man die Altersvorsorge und das Wohnen erhalten musste man ihnen vorgaukeln, dass man im Alter Geld essen und im Kapital wohnen kann so wie man früher den Glauben an Gott und den Kaiser brauchte, damit die Menschen überhaupt Regeln einhielten. Genauso wollten die Menschen Glauben, dass Steuern Raub und Versicherungsprämien verloren seien, so dass die Idee der Privatnützigkeit mehr Engagement als der Altruismus förderte, was schon Adam Smith mit seinen beiden Hauptwerken beklagte.


Wenn aber die nützliche Lüge nicht nur rechtlich vorgeschrieben, als einfache Heuristik angeboten oder als Alltagsideologie zum Erreichen sinnvoller Ziele eingesetzt sondern von Professoren und sog. Wissenschaftlern als Wahrheit verkauft wird, so dass Wissenschaft geknebelt, Forscher auf dem Scheiterhaufen ihrer Inquisition verbrannt oder verbannt und Erfinder und Entdecker ausgehungert werden, weil man schon alles Grundsätzliche weiß und es nur noch umsetzen muss, dann fällt man in die Dunkelheiten der anti-aufklärerischen Epochen der Gegenreformation, des Wiener Kongresses oder des McCarthyismus zurück. Genau das ist mit verheerenden Folgen durch den Neo-Liberalismus passiert.


Neo-Liberalismus ist somit nicht die diskutable Annahme, der Markt richte alles. Es ist der religiös überhöhte Glaube daran, dass die Wirtschaft dieser Welt sich vollständig und hinreichend im Geld spiegelt und wir daher alles, was wir tun, auf die Frage reduzieren können, ob wir damit mehr Geld (= gut) oder weniger Geld (= schlecht) erreicht haben. Zur Lithurgie dieser Religion gehören Effizienz, Gewinn, Wettbewerb, Investition, Rendite, Anlage, Kapitalstock und Risiko. Nicht dazu gehören soziale Verantwortung, Überschuldung, Solidarität, Familie, Mensch, Arbeiten, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, Leben, Essen, Trinken, Wohnen und das Alter.


Als der Sinn von Wirtschaft verloren ging


Nun stößt der neo-liberalistische Glaube an die Grenzen der realen Wirtschaft. Die Verpackungen des realen Schrottes sind aufgeplatzt. Die Preisschilder werden wie an den Tankstellen zu Bahnhofsanzeigen. Wo nichts war ist auch plötzlich nichts. 30% heiße Luft aus Finanzdienstleistungen entweicht übel riechend aus dem Geldballon des Bruttosozialproduktes in den USA und Großbritannien. Island fällt auf seine wahre Größe eines Stadtteils zurück. Die Briefkästen der englischen Kolonialreste in Guernsey und auf den Seychellen sind wieder Briefkästen und keine virtuellen Paläste.


Mit gefährlicher Ehrlichkeit entwickelt sich das böse Wort von der Subprime Krise, dass die Wucherkredite, mit denen die Ärmsten zu Hause und in der Welt mit jährlich steigenden Ausfallraten zur Ader gelassen wurden, die Grenze dessen erreicht hatten, was man aus der realen Welt abpumpen und über die virtuelle Welt des Geldes den Anlegern zuweisen konnte, damit sie daraus wieder ihre Stellung in der realen Welt verbessern konnten. Sollte es wirklich so sein, dass wegen der 1,2 Mio aus den Häusern vertriebenen Armen in den USA und den leider allzu direkt verbrieften und verkauften Risiken an Anleger der Welt es hindurch schimmerte, dass jede Rendite auch irgendwo verdient werden muss, wenn sie nicht reiner Raub und Umverteilung bedeutet. 500% Aktienkursgewinn und 1000% Zuwachs im Derivat waren entweder nur in den Kontobüchern, über die Notenpresse oder durch Bewucherung der Kreditnehmer und Emitttenten von Schuldverschreibungen und Wertpapieren zu erreichen.


Die Welt hätte erfahren, dass sich über 3000 Jahre nichts geändert hat. Der Wucher ist die Grundlage des Profits geblieben. Ohne Wucher keine Traumrendite auch wenn es über Zertifikate, strukturierte Papiere, true sale, covered warrants oder Währungsparitäten verdeckt eingetrieben wurde. Immer zahlen beim Geld die einen, was die anderen daraus verdienen. Der Geldmarkt verliert nichts, es taucht nur an anderer Stelle wieder auf.


Doch der neo-liberale Geldwahnsinn hat seine realen Grenze. Niemand darf es bei einem zu lang getriebenen Pokerspiel wagen, den Befehl "zum Sehen" zu geben, ohne dass Illusionen und Motivationen der Mitspieler dramatisch auf den Boden der Verluste zurückgeholt werden. Die Zwangsversteigerungen in den USA legten die Karten offen. Die Preise bezogen sich wie in England und Spanien auf Kartenhäusern und purzelten. Doch diejenigen, die vorher schon ihre Gewinnanteile am angeblichen Hauptgewinn in reale Werte umgewandelt hatten, saßen am warmen Kamin. Ihre Taten sind bereits verjährt wenn sie Früchte tragen. Geprügelt werden an ihrer Stelle die blauäugigen Aufkäufer, die angeblich maßlosen amerikanischen Kreditnehmer, die dummen Staatsbanken und die Oma in der Altersvorsorge. Die Kreditkrise wird zur Anlegerkrise.


Wie die Presse der Krise Sinn eingibt


In Talkshows brilliert der fixe Schuldenberater, der aufzeigt, wie die Armen selber an der Überschuldung schuld sind. Nebenan schwadroniert ein Banker in der Tagesschau, der noch unlängst nach Strafverfahren eine ganze Talkshow für sich und seine philantropischen Absichten unter Ausschluss von Mitdiskutanten und Kritikern pachten durfte. Im nächsten Spot heult sich ein Anleger aus, der nur für den doppelten Anlagezins (6%) wie auf Sparbuch und Festgeld die Schuldverschreibungen der Lehmann Brüder kaufte, die jetzt wertlos sein sollen, was angesichts der Riesenprofite anderer doch geradezu gemein wenig war.


Aus der Kreditkrise wird eine Anlegerkrise. Das ist so, wie beim Atommüll, wo die Abnehmerfirma kein Entwicklungsland mehr findet, dem sie die strahlende Asche für wenige Dollar ins Meer kippen darf. Sie schreit um Hilfe und lässt sich vor dem Konkurs durch staatliche Abnahmegarantien ihres Vaterlandes retten. Eigentlich sollte der Staat aus der Abnahmekrise schließen, dass die Produktion von Atommüll und deren Absatz das Problem ist und ausnahmsweise einmal die Märkte auf echte Probleme aufmerksam machen. Nicht die Geldanlage sondern die geradezu herausgekitzelten Risiken im Kreditgeschäft wären zu behandeln.


Aber schon ringt eine ganze Wirtschaftspresse und ein staatstragender Rundfunk, der gerade noch eine Kritik an seiner kommerzialisierten Sicht von Kultur fristlos und präventiv für alle Journalisten mahnend gekündigt hat, um die richtige Lesart.


Es darf um Gottes Willen nicht wieder zur Kredit- und Wucherkrise werden. Dass die HypoVereinsbank mit ihren Schrottimmobilien- und Mittelstandskrediten, die NordLB mit ihren Mecklenburg Existenzgründerkrediten, Citibank mit Kettenkrediten beim Konsumenten und fast alle im Mittelstandsgeschäft oder beim Absahnen der Provisionen und Kursgewinne im Investmentbanking mit der Eigenkapitalrendite auch die Ausfallquoten von 0,3% teilweise auf 15% hochgejubelt haben, erfährt man allenfalls hinter vorgehaltender Hand.


Die eigentlichen Opfer sind jetzt die Massenanleger, und zwar diejenigen, die nur ein bisschen mitverdienen wollten. Ihr Problem ist es aber, dass sie damit dem System die Weihe und demokratische Massenbasis gaben. Jetzt lässt das System sie fallen. Während für die Großen der Staat garantiert, müssen die 1000 Kleinen in der Verbraucherzentrale Hamburg für das Fernsehen als Opfer posieren.


Der Neo-Liberalimus, und das muss man ihm eigentlich danken, frisst auch seine eigenen Kinder, wenn das Futter sonst knapp wird. Er schmeißt nicht nur die Schuldner aus ihrer Wohnung, pfändet die Löhne, treibt sie zu Überstunden an oder zwingt den Staat, durch Steuer"erleichterungen" noch etwas zuzulegen. Er nimmt auch rigoros den Kleinen und gibt es den Großen. Es gibt zwei Opfergruppen: die Kleinanleger und die Schuldner.


In so einer Krise entscheidet sich der Neo-Liberalismus dann für das kleinere Übel. Er gibt zu, dass den Kleinanlegern Unrecht getan wurde; natürlich nicht durch das System oder die Banken aber durch die Bankberater und das Bundesaufsichtsamt. Zwar betrifft das vielleicht eine halbe Million, während es bei den Kreditnehmern 30 Millionen wären, doch das reicht dafür, sich als verantwortlich für das Volk darzustellen. Die Politiker empören sich über die Gemeinheit. Jetzt müssen auch die Manager büßen. Sie handelten unverantwortlich, wobei keiner nachfragt wodurch eigentlich, wenn doch selbst im neuen Gesetzentwurf für die Pfandbriefreform steht, dass man diese Luftnummern wieder zur Abdeckung benutzen darf und dafür nur das Rating der bekannten und "anerkannten" US Institute braucht. Die, die gestern noch als Berater der Regierenden eigene Zimmer im Finanzministerium bezogen oder in den Expertengremien bei der EU die Gesetzgebung machten, die auf den Parties Anlagetyps für Politiker gaben oder sich sogar eigene hochverzinsliche garantierte Wertpapiere für Politiker einfallen ließen, sind jetzt die Prügelknaben und Geächteten.


Wie der Sinn zu den Managern zurückfindet


Angstvoll schauen sie zu ihrem Hohen Priester, dem sie es verdankten, dass ihnen nie das Gewissen schrie, als sie das Gemeinwohl bei der Privatisierung vergaßen, Wucherkredite vergaben, Hedgefonds mit Krediten ausstatteten, um Unternehmen zu zerschlagen. Natürlich hätten sie das alles nicht geglaubt was an UnSinn über ihre Praxis erzählt wurde und dass es schon richtig sei, mit den Ärmsten die größten Profite zu machen. Aber da es so lukrativ war alles dies zu glauben, glaubten sie es gerne. Provisionen, Gewinnbeteiligungen und Optionen lenkten erst einmal 5 Mrd. € an Bankertantiemen von den ausgequetschten Schuldnern, Unternehmen und dem Staat auf das eigene Konto. Das motivierte und dämpfte den Wissensdurst und die biblische Frage, "Verstehst Du auch, was Du da liesest?". Weil sie auch noch als Wohltäter der Marktwirtschaft und Vorbilder galten, deren Werdegang in den Schulen gelehrt werden sollte, hatten sie auch keine Skrupel, zumal ja auch ihr hoher Priester mit Bundesverdienstkreuzen, Quandt und CDU Medaille und anderem Lametta überhäuft wurde. Wer will da noch gerne selber nachdenken.


Doch jetzt sieht sie der Bäcker an der Ecke komisch an, die Kinder hegen Zweifel an der Autorität des viel entbehrten Vaters und der Taxifahrer springt nicht mehr vor Ehrerbietung raus, wenn er ihn vor der Bank absetzen soll. Angstvoll blicken sie zu ihrem Papst, dessen 1000fache Absolutionen ihnen jetzt in der realen Welt nicht mehr so richtig nützten wollen.


Und der Papst versteht sie. Er stellt sich mit seinen Orden behangenen breiten Schultern vor sie und nimmt sie im Tagesspiegel in Schutz. Ungerechtigkeit, verkündet er dann noch in der Süddeutschen Zeitung einen Tag später, sei nicht schlecht, wenn es nur effizient sei. Es komme auf den Durchschnitt an und nicht auf den einzelnen Menschen. Hat nicht der Neo-Liberalismus den Durchschnittsmenschen zu ungeahnten Höhen im Anlagevermögen getragen? Hat nicht der Durchschnittsmensch Traumrenditen eingefahren und sind nicht die Durchschnittskosten zumindest in den Modellannahmen drastisch gesunken? Was meckern die Soziologen und Armutsforscher da herum, dass ein paar konkrete Menschen dabei über die Kante rutschten, dass der Durchschnitt des Vermögens eines Millardärs mit 1000 Habenichtsen immer noch bei 1 Mio Euro für alle liegt?


Und als echter Religionsstifter redet er sich in Eifer. Seine Schäfchen, die gläubigen Bankmanager, sieht er als Märtyrer des Neo-Liberalismus, sagt aber lieber, sie seien Opfer so wie die vielen anderen Opfer in der Geschichte. Natürlich fallen ihm dabei nicht die obdachlosen Hypothekenkreditnehmer in den USA ein, natürlich fallen ihm nicht die Kinder, die in überschuldeten Hartz IV Familien aufwachsen oder die in Indien die Fahrräder für den Export für 1 Dollar am Tag montieren ein oder gar die Jugendlichen, die vom leibhaftigen Herrn Hartz auf den Lustreisen bezahlt wurden. Es müssen schon anerkannte Opfer sein und nicht solche, denen man selber die Schuld daran geben kann wie den Überschuldeten, weil sie sich mit Kredit übernommen haben, den Zwangsgeräumten, weil sie fahrlässig ihre Raten vor enthielten, den Arbeitslosen, weil sie sich faul nicht um die angeblichen Stellen bewarben.


Herr Sinn und die Juden


Herrn Sinn fallen die Juden ein, weil nachdem sie in Deutschland nur noch eine kleine Minderheit sind, doch die am meisten anerkannten Opfer sind. Ja es ist richtig. Sie wurden im Mittelalter für Pest und Krankheiten, für Hungersnöte und Kriege verantwortlich gemacht. Aber Herr Sinn meint ja nicht das Mittelalter. Er meint die 30ger Jahre. Er kann dabei nur die 1930 noch kaum existierende Nazipartei gemeint haben, die im Stürmer bereits seit 1923 den Juden die Schuld an allem gab.


Damals regierte ein Parteifreund von Angela Merkel, der Zentrumspolitiker Brüning in einer ähnlich großen Tolerierungskoalition mit der SPD, die beide mit ihren Notverordnungen und ihrer Kommunistenfurcht von Parlamentarismus nicht mehr allzu viel hielten. Im Parteivorstand der SPD gab es jüdische Mitglieder. Sollten sie den Juden die Schuld gegeben haben?


Und noch mehr. Wenn es keinen Zweifel daran gibt, dass die Wirtschaftskrise mit Semitismus und Antisemitismus nichts zu tun hat, ist das mit den Managern genauso klar? Immerhin, mit diesem Vergleich wird man auf die Seite der Manager gezwungen, denn 6 Mio Ermordungen aus Rassenhass, wer so etwas oder etwas Vergleichbares erleidet, der hat Anspruch auf unsere Solidarität.


Und jetzt muss sich unser ahnungloser Prophet gefallen lassen, dass die jüdischen Opfer aufbegehren. Sie finden es nicht angemessen, dass das Schicksal ihrer Glaubensgenossen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mit den angedrohten Gehaltskürzungen auf 500.000 € im Jahr verglichen wird, dass man Manager, die statt Nachzuschauen geglaubt und statt verantwortlich zu handeln, fanatisch nach Gewinn strebend agierten, nicht mit Menschen vergleichen kann, denen die Weltwirtschaftskrise 1929 ebenfalls alles genommen hat, und was übrig blieb dann von den deutschen Mitbürger geraubt wurde.


Herr Sinn macht einen anmaßenden und zugleich ignoranten Vergleich, wenn er diejenigen, die im KZ zu Tode gequält wurden mit seinen Managern vergleicht.


Natürlich ist es eine Ablenkung von den Ursachen und Problemen der Krise, wenn man das berühmte "menschliche Versagen" als Unglücksursache beim Zusammenbrechen des aus Kostengründen nicht gewarteten Triebwerks vorschiebt und dann noch durch unbedarfte Politiker gar eine "Haftung" verlangt, die selbst ein anerkannter Wirtschaftsprofessor mit Strafbarkeit verwechselt.


Jeder weiß, dass es nach dem geltenden Strafrecht keine Chance gibt, dem Volk ein paar Manager zum Exempel vorzuwerfen, um die kochende Volksseele zu beruhigen. Der Rechtsstaat ist Gott sei Dank davor. Das Ackermann Urteil war falsch, weil es bei Mannesmann, dem Gewinner, das Opfer sah, während der Staat, der Dank der als Verlust gebuchten Tantiemen, zehn Jahre von Vodafone keine Steuern mehr bekam, als Opfer ausgeschlossen ist.


Das Urteil über die Bankmanager ist aber aus professioneller Sicht noch viel schlimmer als der Schuldvorwurf.


Die Manager der Krise sind nicht schuldfähig und damit haftbar, weil sie unzurechnungsfähig waren und an dieser Unzurechnungsfähigkeit der Neoliberalismus beteiligt war. Sie haben nämlich in seinem religiösen Wahn gehandelt, wonach Profite und Rendite unbegrenzt steigen können, der Geldmarkt jede Umverteilung zulässt, die Quartalsberichte der Banken Realität verkörpern und die Ratingagenturen Ablasszettel für Risiken ausstellen, für die sie nicht mehr gerade stehen müssen.


Die Bankmanager haben sich wie ein mittelständischer Unternehmer verhalten, der einen extrem überbezahlten die eigene Produktion um ein Vielfaches überschreitenden lukrativen Großauftrag erhielt, daran glaubte und daraufhin produzierte, ohne sich zu erkundigen, ob es den Auftraggeber überhaupt noch gibt, ob die Bescheinigung, dass er solvent sei, von ihm selber bezahlt wurde und ob er solche Preise überhaupt bezahlen kann. Wir würden ihm die Gnade des Konkurses gönnen und dafür sorgen, dass er nicht weiter die Geschicke auch nur eines Kleinunternehmens mit fünf Beschäftigten anvertraut bekäme. Die Bankmanager aber sind nun alle unsere Berater und Kommentatoren in einer Kreditkrise, die danach die in der letzten Dekade verarmten amerikanischen Verbraucher in ihrem maßlosen Konsumrausch vom Zaun gebrochen haben.


Der Antisemitismus macht auch vor den Liberalen nicht halt


Was hat Herr Sinn mit Antisemitismus zu tun? Hat er nicht gerade betont, dass Juden unschuldige Opfer in Deutschland wurden? Als der Zoologe Grzimek von KZ-Hühnerhaltung sprach hat er auf das Los der Hühner in Käfighaltungen aufmerksam machen wollen. Aber hatte er damit nicht auch etwas über die Menschen in den KZs gesagt? Sagt Herr Sinn nicht auch etwas über das Schicksal der Juden, wenn er es auf die Stufe stellt mit der Kritik an Managern eines Desasters, das unser Gemeinwohl bedroht? Wie weit darf man in Deutschland gehen, um die unsäglichen Quälereien, Erniedrigungen, Entmenschlichungen, die allmähliche und langsam quälende Ausschließung der jüdischen Mitbürger aus dem gesellschaftlichen Leben als Alltagsprobleme der Moderne wieder zu entdecken?


Die Verniedlichung der faschistischen Gräuel ist ein Teil des Antisemitismus. Wir erinnern uns mit Grausen an die Beweisanträge der Verteidigung im Ausschwitz und Treblinka Prozess über die Provenienz der Abgase aus den Verbrennungsöfen. Wir erinnern uns daran, dass die deutsche Justiz jüdische Zwangsarbeiter nicht schon immer entschädigte sondern wir dazu international gezwungen werden mussten und die Opfer der Sondergerichte als Kriminelle behandelte. Ich erinnere mich, dass mein Vater den Nazi-Film zum KZ Theresienstadt (dazu der Roman Austerlitz von W.G. Sebald) auch nach 1945 nicht als Propaganda einstufte, so wie damals das Internatioanle Rote Kreuz froh war, mit einem solchen potemkinschen Dorf nach Hause fahren zu dürfen. Wer Folter, Verfolgung und Mord dadurch verniedlicht, dass er sie mit lächerlichen Situationen vergleicht, steht in dieser antisemitischen Tradition, die auch heute noch die Verfolgung der jüdischen Mitbürger als entweder verständlich, nicht so schlimm oder einfach nur bedauerlich hinstellt. Eine Entschuldigung reicht mir da nicht.


Umgekehrt wehre ich mich angesichts der Millionen nicht-jüdischen Opfer, Widerstandskämpfer und Emigranten deutscher Staatsangehörigkeit genauso dagegen, den Holocaust als deutsch anzusehen, und habe daher auch in Israel immer vertreten, dass es ein anderes Deutschland gab und gibt und es sich dafür lohnt, sich einzusetzen. Deshalb aber ist es eine Pflicht nicht allein des Zentralrats der Juden sondern jedes Deutschen, die religiösen Eiferer wie Hans Werner Sinn davon viel nachhaltiger abzuhalten, den Holocaust für ihre Zwecke zu missbrauchen, wo ihnen nichts außer ihrer eigenen Überzeugung heilig ist. Religiöse Intoleranz war immer schon einer der schlimmsten Wurzeln des Antisemitismus.


Antisemitismus und Neo-Liberalismus - ein gewagter Versuch


Es gibt vielleicht aber noch eine andere Beziehung zwischen den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus und dem Neo-Liberalismus.


Der Antisemitismus in Deutschland war nicht eine spontane Massenbewegung, in der die Nachbarn, die im assimilierten Deutschland anders als in Osteuropa inzwischen über Hundert Jahre gut zusammengelebt hatten, plötzlich übereinander herfielen. Es war, wie es der faschistische und heute wieder hoch angesehene Theoretiker des Faschismus, Carl Schmitt, philosophierte, ein Element der Volkwerdung der Deutschen. Wo ein Volk wie die Deutschen 1848 die demokratische Staatwerdung verpasst hatte und stattdessen sich unter dem Kriegervolk aus Brandenburg allmählich durch Unterwerfung einigen lassen musste, konnte ein Nationalbewusstsein nur durch die Identifikation "der" erdachten oder wirklichen Feinde erreicht werden.


Historisch waren die Juden schon deshalb Feinde, weil sie sich nicht der katholischen oder protestantischen Kirche unterwarfen, die für die Kleinstaaten prägend waren. Daraus kam der religiöse Antisemitismus. Er war es aber nicht alleine.


Der Antisemitismus hatte nämlich auch eine wirtschaftliche Komponente. Schon früh war dem arbeitslosen deutschen Volk suggeriert worden, dass es durch Raub bei den vermeintlichen Feinden reich werden konnte: Raub an Arbeitsplätzen bei Anwälten und Ärzten, Raub an Vermögen bei Banken und Verlagen, Raub am Konsumgut des Nachbarn. Der Antisemitismus des deutschen Faschismus war daher wirtschaftlich gesehen ein gewaltiger Raubzug zur Umverteilung von Vermögen in Deutschland. Die letzte Stufe war die Vernichtung durch Arbeit, mit der unsere Großkonzerne sich auch noch das Leben der Menschen einverleibten. Dieser wirtschaftliche Antisemitismus hat eine weit größere und beschämendere Rolle gespielt als wir heute anzuerkennen gewillt sind.


Davon aber nicht genug hat es eine dritte Form von Antisemitismus gegeben, den politischen Antisemitismus in dem das Judentum mit Liberalismus und Kommunismus gleichgesetzt wurde. Tatsächlich waren die großen Führer der Linken in Deutschland fast alle jüdischen Ursprungs. Viele Liberale stammten aus diesem Bereich, wo ein Jude des 19. Jahrhunderts bei allen verbliebenen Schikanen des verbotenen Handwerks, Staatsdienstes etc. nur Zugang zu den freien Berufen hatte und notwendig sein Schicksal mit dem Gelingen einer bürgerlichen Gesellschaft, der individuellen Freiheit des einzelnen und dem Recht privaten Aufbegehrens gegen die Obrigkeit verknüpfte. Das Rückgrat des deutschen Liberalismus und Sozialismus war eine deutsch-jüdische Kultur, die überzeugender nicht hätte ausfallen können.


Deshalb passte der politische Antisemitismus in die Auseinandersetzung bei der Refeudalisierung des Staatsapparates und der Wirtschaft durch die Nazis ins Konzept. Liberalität und Arbeiterbewegung wurden ihrer führenden Köpfe beraubt und der "jüdische Liberalismus und Weltbolschewismus" in Kultur, Wissenschaft und Politik unter rassistischem Vorzeichen ausgerottet. "Der jüdische Geist in der deutschen Rechtswissenschaft" hieß der von Carl Schmitt geleitete Kongress 1936, der dem Liberalismus und der Sozialdemokratie galt.


So gesehen muss man sich wundern, dass die politisch Liberalen, denen Herr Sinn wohl trotz seiner Auszeichnung durch die CDU geistig näher stehen dürfte, als der katholischen Soziallehre, sich dieser jüdischen Tradition nicht angenommen haben.


Es gibt diese Beziehungen aber nicht in der FDP Wirtschaftspolitik sondern nur bei ihren Rechtspolitikern. Das hat seinen Grund. Die liberale Wirtschaftspolitik in Deutschland ist schon lange nicht mehr liberal sondern neo-liberal. Sie ging damit eine Allianz mit den über die Arbeitsdirektoren mit den Großunternehmen verbundene SPD ebenso ein wie die CDU, die im Wirtschaftsrat direkten Zugang hat. Parteiübergreifend etablierte sich diese religiöse Strömung in der Labour Party oder bei den Republikanern in den USA ebenso wie bei den Konservativen in Schweden oder Neuseeland und der Liberalen Partei in den Niederlanden.


Neo-Liberalimus ist die religiöse Variante des Liberalismus ebenso wie der Stalinismus die religiöse Variante des Sozialismus und der Faschismus die religiöse Variante gemeinschaftsorientierten Konservativismus ist. Sie alle haben gemeinsam, dass das Denken durch die religiöse zentral verwaltete Wahrheit abgelöst wird. Nicht die Grundprinzipien der Hauptströmungen, (liberale Freiheit, sozialistische Solidarität, und christliche Gemeinschaft) sondern ein Instrument ihrer Durchsetzung, nämlich der Markt bei den Liberalen, die Diktatur des Proletariats bei den Sozialisten und das christlich-ethische Führertum bei den Konservativen werden zum absoluten Wert erhoben. Mit diesem ideologischen Trick erhalten sie sich die Unterstützung ihrer Urspungshäuser, schotten sich gegen die Kritik der anderen Strömungen ab und werden zu gefährlichen Logen, die sich letztlich durch Klientelismus und Begünstigung nach oben puschen.


Alle diese Auswüchse der drei Grundpfeiler moderner Demokratie, die nur durch das Miteinander der konservativen, liberalen und sozialistischen Werte in Regierung und Opposition sich entfalten kann, können am wirksamsten nur von ihren Mutterparteien bekämpft werden. Nehmen die diese Aufgabe wahr, dann sind sie sich des Hasses gewiss, mit dem die Stalinisten 1930 die SPD als Sozialfaschismus beschimpfte und die Faschisten die christliche Ethik in katholischer und bekennender Kirche als Feinde bekämpften.


Verheerend war es nur da, wo die Mutterparteien sich anpassten, für das Ermächtigungsgesetz stimmten oder beim Vereinigungsparteitag die SED wählten, statt zu klären, wo der Extremismus oder besser die politische Religiösität beginnt.


Das gilt auch für die neueste Schöpfung des Extremismus, den Neo-Liberalismus. Er hätte heute das liberale Judentum am meisten zu fürchten, weil in ihm immer die Liberalität unteilbar zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur war. Der Bankier Salomon Heine unterstützte seinen Neffen Heinrich Heine ebenso wie die Hamburger Kultur. Der Rechtsanwalt Bucerius unterschied zwischen wirtschaftlichem Erfolg als Verleger und kulturellem Schaffen, das er unterstützte. Die Warburgs haben Europa in Geld und Gesellschaft geprägt.


Von daher kann Sinn wenig mit der Tradition des deutschen Judentums, dessen Vernichtung er so verniedlicht, gemein haben. Er kann von ihnen keine Unterstützung für seinen Extremismus erwarten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sollte sich mit der Entschuldigung nicht begnügen sondern eine Debatte über jüdische Traditionen in Deutschland und den Neo-Liberalismus entfachen. Wir könnten viele amerikanische Freunde benennen, die in dieser Tradition stehen und sich hieran beteiligen könnten.(Udo Reifner)


ID: 42009
Author(s): UR
Publication date: 27/10/08
   
 

Created: 27/10/08. Last changed: 29/10/08.
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